Stoßlüftung um ein Vielfaches wirksamer als Luftfiltergeräte
2. Dezember 2020 von Riedel
Es wird viel über Aerosole und die Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen diskutiert. Während die einen am liebsten den ganzen Tag die Fenster offen lassen würden, wird es den anderen zu kalt und sie bevorzugen Luftfiltergeräte. An der TU Mittelhessen wurde jetzt eine entsprechende Studie durchgeführt.
Geht es um die Risiken, sich im Unterrichtsbetrieb mit dem Corona-Virus zu infizieren, richtet sich das aktuelle Interesse vor allem auf die Qualität der Atemluft in Klassenräumen. Das Umweltbundesamt (UBA) empfiehlt ein regelmäßiges kurzzeitiges Fenster-Stoßlüften als wirksame Maßnahme gegen die Virusbelastung, was gleichzeitig auch den notwendigen Austausch von Kohlendioxid sicherstellt. Die Dauer der Lüftung soll sich an der Außentemperatur orientieren. Den Einsatz mobiler Luftfiltergeräte, den kürzlich vorgelegte Studien empfehlen, erachtet das UBA nur im begründeten Ausnahmefall für sinnvoll.
Klassenzimmer als Labor
Zu dieser Problematik haben jetzt die Professoren Dr. Hans-Martin Seipp und Dr. Thomas Steffens von der Technischen Hochschule Mittelhessen eine eigene Untersuchung in einem Klassenraum der Leibnizschule in Wiesbaden durchgeführt. Sie ermittelte, wie sich dort die Fenster-Stoßlüftung auf lungengängige Aerosole auswirkt. Als wesentliches Resultat zeigte sich, dass die Stoßöffnung aller Fenster über drei Minuten bei Außentemperaturen von 7-11 Grad Celsius die eingebrachte Konzentration an Aerosolen bis zu 99,8 Prozent senkte. Damit erwies sich die Fensterstoßlüftung um das 10 – 80-Fache wirksamer als ein unlängst dokumentierter Einsatz der maschinellen Luftfilterung. Dabei war in demselben Klassenraum mit vier mobilen Luftfiltergeräten nach zirka 30 Minuten bei gleichzeitigem Dauerbetrieb eine Reduzierung der Konzentration um 90 Prozent festgestellt worden.
Drei Minuten lüften
Prof. Seipp, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin sowie Diplomingenieur für Umwelttechnik, betrieb an zwei Tagen Messungen in dem 190 Quadratmeter großen unbelebten Klassenzimmer. Bei geschlossenen Fenstern wurden zunächst standardisiert Aerosole im Klassenraum freigesetzt und durch zwei leistungsfähige Ventilatoren verteilt. Der Zerfallsprozess der Aerosole wurde durch einen Laserpartikelmonitor registriert. Anschließend wurden alle Fenster für begrenzte Zeitintervalle von 1 – 5 Minuten geöffnet und dabei die Messungen fortgesetzt, so dass die Aerosolkonzentrationen vor und nach der Stoßlüftung vorlagen. Bei einer Außenlufttemperatur von 17 Grad Celsius sank die Aerosolkonzentration nach Stoßlüften um 31 Prozent (3 Minuten), bzw. um 83 Prozent (5 Minuten). Am zweiten Versuchstag bei 7 – 11 Grad Celsius Außenlufttemperatur wurden in aufeinanderfolgenden Aerosoluntersuchungen folgende Absenkungen erzielt: nach einer Minute Stoßlüftung 92 Prozent, nach zwei Minuten über 98 Prozent und während drei Stoßlüftungen über drei Minuten zwischen 99,4 und 99,8 Prozent.
Es bleibt warm
Die Ingenieurwissenschaftler der THM untersuchten auch den Aspekt der thermischen Behaglichkeit, der oft als Einwand gegen die Fenster-Stoßlüftung in der Herbst- und Winterzeit vorgebracht wird. Dabei wurde die Temperaturentwicklung an insgesamt zehn Messstellen im Raum jeweils im Intervall von 10 Sekunden registriert. Nach einem kurzfristigen Temperaturverlust von bis zu 6 Grad Celsius stabilisierten sich die Raumlufttemperaturen bereits nach vier bis sieben Minuten wieder auf einem Niveau, das nur noch 1 Grad unter dem Ausgangswert lag. Seipp und Steffens gehen davon aus, dass in einem belebten Raum eine noch schnellere Wiederaufwärmung zu erwarten ist.
Lärm durch Lüfter
Kritisch bewertet Prof. Steffens, zu dessen Lehrgebiet der Arbeits- und Immissionsschutz zählt, dass von vier in einem Klassenraum betriebenen mobilen Luftfiltergeräten eine Lärmbelastung von 54-57 dB(A) ausgeht. Darunter leidet die Sprachverständlichkeit im Unterricht; und es stellt eine erhebliche Überschreitung gültiger Grenzen dar, die durch das Baurecht für Schulen (maximal 35 dB(A) bei Lüftungsanlagen) sowie den Arbeitsschutz (55 dB (A)) definiert sind.
Frische Luft kostet nichts
Abschließend verweisen die Forscher darauf, dass kostenintensive Hochleistungs-Partikelfilter entsprechend allen internationalen Normen stets mit effizienten Vorfiltern betrieben werden. Damit seien aber mobile Luftfiltergeräte der Preisklasse unter 4.500 Euro in der Regel nicht ausgestattet, ebenso wenig mit einem Melder der Notwendigkeit des Filterwechsels. Beides könne dazu führen, dass die Filterleistung sinkt und immer mehr Aerosole in der Raumluft verbleiben.
Besser lüften
Als Resümee ihrer ersten Untersuchungsergebnisse zur Wirksamkeit der Fenster-Stoßlüftung im Vergleich zum Einsatz mobiler Luftfiltergeräte bestätigen Seipp und Steffens die UBA-Empfehlung zur Infektionsvorbeugung uneingeschränkt. Schon in naher Zukunft planen sie weitere Messungen in einer nordrhein-westfälischen Schule.
Quelle: Erhard Jakobs Pressestelle
Technische Hochschule Mittelhessen
Foto: Hans-Martin Seipp THM